Ich lasse mir nichts gefallen – oder lerne ich besser, mich zu schützen?

Wie real ist die Gefahr – und was bedeutet das für den Alltag eines ganz normalen Menschen in Deutschland?

Abends auf dem Heimweg, ein kurzer Blick über die Schulter – und plötzlich ist sie da: die Unsicherheit. „Was, wenn mir jetzt jemand folgt?“ Diese Sorge ist nachvollziehbar. Medienberichte über Messerangriffe oder Überfälle lassen den Eindruck entstehen, dass die Welt immer gefährlicher wird. Aber spiegelt das wirklich die Realität wider?

Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik 2024 wurden in Deutschland rund 5,84 Millionen Straftaten erfasst. Davon entfielen etwa 217.000 auf Gewaltkriminalität – ein leichter Anstieg im Vergleich zum Vorjahr. Das klingt besorgniserregend, doch in Relation zu über 84 Millionen Einwohnern bleibt das Risiko, zufällig Opfer schwerer Gewalt zu werden, äußerst gering. Die meisten Gewalttaten geschehen in bestimmten Kontexten: im häuslichen Umfeld, in der Freizeit, unter Alkoholeinfluss oder zwischen Personen, die sich bereits kennen.

Kurz gesagt: Wer ein geregeltes Leben führt, berufstätig ist und in einer durchschnittlichen Stadtgegend lebt, bewegt sich statistisch gesehen in einem sicheren Umfeld. Aber Sicherheit ist kein Dauerzustand – sondern ein Verhalten, das man aktiv fördern kann.

Was die Statistik nicht zeigt, ist das subjektive Sicherheitsgefühl. Viele Menschen fühlen sich unsicher, obwohl sie objektiv kaum gefährdet sind. Das liegt an der Wahrnehmungslücke zwischen realem Risiko und medialer Aufmerksamkeit. Doch dieses Gefühl ist nicht falsch – es kann der Ausgangspunkt für Eigenverantwortung sein. Denn wer gelernt hat, Gefahren früh zu erkennen und mit ihnen umzugehen, fühlt sich sicherer – ganz gleich, wie die Zahlen aussehen.

Ein durchschnittlicher Bürger braucht kein militärisches Kampftraining. Aber er sollte wissen, wie man Situationen früh einschätzt, deeskaliert und – wenn nötig – handlungsfähig bleibt. Achtsamkeit im Alltag ist der erste Schritt: Wer auf Umgebung, Menschen und Stimmungen achtet, erkennt Dynamiken früh und kann rechtzeitig reagieren. Auch Deeskalation ist trainierbar – ruhig bleiben, Distanz schaffen, klare Ansprache. Studien zeigen, dass geschulte Deeskalationsstrategien das Risiko körperlicher Angriffe deutlich verringern, etwa in Pflegeberufen oder öffentlichen Diensten. Und schließlich: Flucht ist kein Zeichen von Schwäche. Selbstschutz bedeutet nicht, zu gewinnen, sondern heil davonzukommen. Ziel ist immer: Abstand, Sicherheit, Rückzug.

Wenn Deeskalation nicht ausreicht, zählt Klarheit. Gutes Selbstschutztraining vermittelt einfache, intuitive Techniken, rechtlich sicheres Handeln und Stressresistenz. Das Ergebnis ist innere Ruhe. Denn wer weiß, dass er handeln kann, reagiert souveräner – und gerät seltener überhaupt in eine Eskalation.

Deutschland ist kein gefährliches Land – aber auch kein risikoloses. Selbstschutz bedeutet nicht, in Angst zu leben, sondern vorbereitet zu sein. Wer Stressoren, Aggressoren und potenziell gefährliche Situationen erkennt, handelt früher, klarer und sicherer. Und genau das ist der Unterschied zwischen:
„Ich lasse mir nichts gefallen“ – und
„Ich weiß, wie ich mich schützen kann.“

Quellen:
Bundeskriminalamt (BKA): Polizeiliche Kriminalstatistik 2024 – Bundesdaten
Bundesministerium des Innern (BMI): Jahresbericht zur Sicherheitslage 2024
BGW: Gewalt und Aggression gegen Beschäftigte – Präventionsleitfaden
Studien zur Gewaltprävention in Notaufnahmen, Springer Verlag 2023